Wahlsystem Deutschland – Kommt die Wahlrechtsreform noch rechtzeitig?

709 Abgeordnete – Der Bundestag wird immer größer: Deutschlands Wahlsystem sieht vor, dass Abgeordnete über Direktmandate, Listen- und Überhang- bzw. Ausgleichsmandate in den Bundestag gelangen können. Von letzteren gibt es derzeit sehr viele, was ein Anschwellen des Bundestages zur Folge hat. Seit zwei Jahren ist der Bundestag daher um eine neue Wahlrechtsreform bemüht. Wie der Bundestag in Deutschland gewählt wird, welche Vorschläge es gibt und warum die Zeit für eine neue Reform drängt, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Wie funktioniert das Wahlsystem in Deutschland?

Das Wahlsystem in Deutschland vereint das Verhältniswahlrecht mit dem Mehrheitswahlrecht:In 299 Wahlkreisen wird mit zwei Stimmen gewählt. Die Erststimme geht an Kandidaten einer Partei, die durch Direktmandate in den Bundestag gewählt werden können. Die Zweitstimme entscheidet über die Zusammensetzung des Bundestages. Jede Partei stellt dafür in jedem Bundesland Kandidatenlisten auf. Kann eine Partei eine größere Anzahl an Wahlkreiskandidaten in den Bundestag entsenden, als ihr nach dem Ergebnis der Zweitstimmen zustehen würden, ergeben sich Überhangmandate und für die anderen Parteien Ausgleichsmandate. Denn das Kräfteverhältnis im Bundestag soll dem Zweitstimmenergebnis entsprechen.

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Platzproblem im Plenarsaal

Der Bundestag wird immer größer und ist seit der Bundestagswahl 2017 mit 709 Abgeordneten so groß wie nie zuvor. Hohe Kosten könnten eingespart werden, würde die im Bundeswahlgesetz festgelegte „Normgröße“ von 598 Abgeordneten eingehalten werden. Die zunehmende Größe des Bundestages entsteht durch die Ausgleichsmandate, die sich aus den vielen Überhangmandaten ergeben, eine Besonderheit des Wahlsystems in Deutschland.

Die aktuelle Zahl der Bundestagsmitglieder von 709 wird sehr wahrscheinlich noch weiter steigen, wenn sich am Wahlrecht nichts ändert. Laut Prognosen von Staatsrechtlern könnten nach der nächsten Bundestagswahl sogar über 800 Parlamentarier im Bundestag sitzen.

Parteien können sich nicht einigen

In einem Punkt sind sich alle Parteien einig: Eine Wahlrechtsreform muss her. Seit gut zwei Jahren werden immer wieder Reformansätze zur Verkleinerung des Bundestages eingebracht, auch in den vergangenen Monaten. Da die bisherigen Vorschläge jedoch einige Parteien einseitig bevorteilten, wurde noch keine Lösung gefunden.

Drei Fraktionen machen einen umfassenden Vorschlag

Mitte November 2019 beriet der Bundestag über drei Vorlagen zur Verkleinerung des Bundestages. FDP, die Grünen sowie die Linke legten einen gemeinsamen Gesetzesentwurf vor.

Die Verkleinerung des Bundestages soll durch die Änderung des Verhältnisses von Listen- und Direktmandaten erreicht werden. Mit einem Verhältnis von 60 (Listenmandaten) zu 40 (Direktmandaten), einer zusätzlichen Verringerung der Anzahl der Wahlkreise auf 250 und einer vorgeschriebenen Gesamtzahl der Sitze von 630 soll einem weiteren Anstieg der Mitgliederzahl entgegengewirkt und die aktuelle Mitgliederzahl deutlich reduziert und konstant gehalten werden. Auch mit einer höheren Normgröße würde der Bundestag kleiner als heute sein, da weniger Überhangmandate ausgeglichen werden müssten.

Vorschlag der AfD wird abgelehnt

Ein zweiter Vorschlag kurz vor Jahresende 2019 kam von der AfD mit dem Titel „Wahlrechtsreform jetzt – Bundestag auf eine definitive Mandatszahl verkleinern“. Dieser Vorschlag – wie auch der Entwurf von FDP, Linken und Grünen wurden zur Beratung an den Innenausschuss überwiesen. Die AfD plädiert darin für die Kappung von Direktmandaten. Die Direktmandate würden entsprechend dem Zweitstimmenanteil einer Partei in einem Bundesland vergeben. Sofern eine Partei in einem Bundesland schlecht abschneidet, werden ihr die Direktmandate praktisch aberkannt. Der Vorschlag der AfD wurde von allen anderen Parteien abgelehnt.

Union bringt Vorschlag vom Frühjahr 2019 nochmal an

24 CDU-Abgeordnete schlugen im Dezember 2019 ein Konzept zur Bundestagsverkleinerung vor, welches bereits im Vorfeld von den anderen Fraktionen abgelehnt worden war. Der Vorschlag beinhaltete die Verteilung von 299 Sitzen im Bundestag an diejenigen Abgeordneten, die in den 299 Wahlkreisen Direktmandate durch Erststimmen erhalten. Die Zweitstimmen nach Verhältniswahlrecht sollten laut des Vorschlages die Verteilung der übrigen 299 Mandate bestimmen. Zudem will die CDU bis zu 15 Überhangmandate ohne Ausgleichsmandate zulassen.

Die Opposition reagierte kritisch auf diesen Vorschlag, weil er Parteien, die viele Direktmandate erringen, einen zu großen Vorteil bringen würde. Im Entwurf der CDU wäre sie selbst der größte Profiteur, hatte die Union doch bei der Bundestagswahl 2017 231 Direktmandate in 299 Wahlkreisen gewonnen.

Die CSU schlug auch vor, die Zahl der Wahlkreise bestehen zu lassen, dafür aber die Zahl der Listenplätze zu erhöhen:  Damit würde zwar die Normgröße des Bundestages etwas ansteigen, aber dem Entstehen von Überhangmandaten entgegengewirkt.

Weniger Wahlkreise und dafür zwei Mandate pro Wahlkreis? Lesen Sie hier von einem weiteren Vorschlag zur Wahlrechtsreform!

Wozu die Eile?

Wenn es bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 ein neues Wahlsystem in Deutschland geben soll, muss es für eine Wahlrechtsreform im Bundestag schnell zu einer Entscheidung kommen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sprach von einer notwendigen Einigung bis Ende Januar 2021. Thomas Oppermann (SPD), Vizepräsident des Deutschen Bundestages, plädierte für eine Abstimmung ohne Fraktionszwang. Wenn es nicht binnen des Jahres zu einer Einigung kommt, wird der Bundestag mit der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich drastisch anschwellen. Mehr als 90 Millionen Euro könnten pro Jahr eingespart werden, würden die Bundestagsmandate auf 500 beschränkt.

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