Stellen Sie sich vor, bei Ihnen steht eine Wahl an. Schon jetzt möchten Sie als Wahlleiter:in gar nicht an die zeitintensive und aufwändige Auswertung der Ergebnissen und Sitzverteilung denken. Im Internet finden Sie diverse Rechner und Tabellen zum Download, die Ihnen die Berechnung erleichtern sollen. Doch welche Tipps helfen bei der Auswertung einer Wahl und, abstrakt betrachtet, welches Sitzverteilungsverfahren ist eigentlich am fairsten?
Sitzzuteilungsverfahren im Überblick
Die neutrale Behandlung jeder Partei ist Kern eines jeden Sitzzuteilungsverfahren. Da die meisten Gremien jedoch über eine kleinere Anzahl an Sitzen (oder Mandaten) verfügen, als Stimmen in der dazugehörigen Wahl eingehen, ist eine kleine Abweichung zwischen dem prozentualen Anteil der Sitze einer Partei (oder Liste) an den gesamten Sitzen zum Idealanspruch des prozentualen Stimmenanteils dieser Partei an den Gesamtstimmen unvermeidbar.
Bei Sitzzuteilungsverfahren unterscheidet man zwischen sogenannten Quoten- und Divisorverfahren. Bei dem ersten Verfahren wird als Bezugsgröße für die Berechnung eine Quote verwendet. Diese Quote bildet man, indem man die Anzahl der zu verteilenden Sitze mit dem Stimmenanteil der Partei multipliziert.
Beim Divisorverfahren hingegen wird ein Divisor ermittelt, indem man die Gesamtzahl der Wähler:innen durch die Anzahl der Sitze teilt.
Das Hare/Niemeyer ist ein Quotenverfahren, beim D’Hondt-Verfahren und dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren handelt es sich um Divisorverfahren.
Ein Vorteil des Hare/Niemeyer- und des Saint-Laguë/Schepers-Verfahrens ist, dass kleinere Parteien durch die Art der Berechnung nicht benachteiligt werden. Allerdings treten hier durch die Zuteilung von einem Teil der Sitze über Nachkommastellen Paradoxien, sprich unlogische Konsequenzen auf, sodass zum Beispiel die Streichung von Parteien durch Sperrklauseln (Fünf-Prozent-Hürde) zu einem Sitzverlust bei anderen Parteien führen kann.
Bei Sainte-Laguë/Schepers werden weder größere Parteien bevorteilt noch gab es bisher große Verzerrungseffekte oder Paradoxien, wie es bei den Vorgänger-Methoden der Fall war. Bei der D‘Hondt-Methode ist die Sitzverteilung stets zugunsten der stärksten Partei und zulasten der Schwächsten verzerrt. Sainte-Laguë/Schepers gilt dahingehen als unverzerrtes Zuteilungsverfahren, bei dem die Abweichungen bei Wiederholungen bei Plus-Minus-Null liegt.
Mehr zu den Sitzzuteilungsverfahren lesen Sie auch im POLYAS Wahllexikon >
Sitzverteilung im deutschen Bundestag
Unser politisches System ist föderalistisch organisiert. Kein Wunder also, dass sich die Wahl-, Auswertungs- und Sitzverteilungsverfahren in den Bundesländern und Kommunen oft nach den Prozessen im Bund richten. Ebenso werden auch für viele nicht-politische Wahlen die Verfahren im Bund als Orientierung genutzt.
1949, 1987, 2009 – der Deutsche Bundestag änderte bereits einige Male die Methode, nach der die Sitzverteilung nach einer Wahl berechnet wird.
Im ersten Bundeswahlgesetz von 1949 wurde beschlossen, dass die Berechnung der Sitze im Deutschen Bundestag nach dem D’Hondt-Verfahren ausgewertet werden soll. Bei diesem Verfahren profitieren allerdings überwiegend große Parteien und kleine werden benachteiligt.
Auch aus diesem Grund wurde zum 11. Deutschen Bundestag 1987 das Wahl-Auswertungs-Verfahren gewechselt und das Hare/Niemeyer-Verfahren eingeführt. In den meisten Landtagen wird dieses Verfahren bis heute eingesetzt.
Seit 2009 wird die Sitzverteilung nun nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren ausgewertet, da bei dem Vorgänger-Verfahren einige Paradoxien durch die Berechnungsart auftraten. So konnte bei Hare/Niemeyer eine Erhöhung der Gesamtsitzzahl bei gleicher Stimmenverteilung dazu führen, dass eine Partei einen Sitz verliert (s. g. „Alabamaparadoxon“). Beim sogenannten Populations-Paradox kann bei einem anderen Wahlergebnis eine Partei A Sitze verlieren, obwohl sie Stimmen hinzugewonnen hat, wohingegen Partei B trotz Stimmenverlust einen Sitz hinzugewinnt.
Berechnung der Sitzverteilung mit POLYAS
Praktisch wäre es doch, die Ergebnisse der drei Berechnungs-Verfahren mit einem Klick vergleichen zu können. Deshalb bieten wir für POLYAS Online-Wahlen seit kurzer Zeit den Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner (BETA) an, mit welchem die Sitzverteilung oder der:die Gewinner:in einer Mehrheits- oder Verhältniswahl nach den drei oben genannten Sitzzuteilungsverfahren berechnet werden können.
Über die Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten dieser neuen POLYAS-Funktion berichtet Kati Bachnik, Product Ownerin bei POLYAS. Sie trug maßgeblich zur Entwicklung des Rechners bei.
Kati, du hast dich im letzten Jahr umfassend mit der Entwicklung und Ausgestaltung des Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechners beschäftigt. Welchen Mehrwert bietet diese Funktion für unsere Kund:innen?
Wir haben den Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner entwickelt, um es unseren Kund:innen zu ermöglichen alle Schritte der Wahl in unserem Tool dem POLYAS Online-Wahlmanager umzusetzen:
- Erstellung und Konfiguration der Wahl,
- Durchführung und Monitoring der Stimmabgabe sowie
- das Abrufen der Ergebnisse und jetzt auch
- die Berechnung der Sitzverteilung bzw. des:der Gewinner:in.
Wer möchte, kann auch vor der Wahl bereits die Nominierung mit POLYAS durchführen und die Kandidat:innen bequem in die POLYAS Online-Wahl übertragen.
Der:die Kund:in erhält mit dem Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner nicht mehr „nur“ die reine Stimmenanzahl pro Kandidat:in oder Liste seiner:ihrer Wahl, sondern die exakte Berechnung der Verteilung der Sitze oder des:der Gewinner:in, abhängig von der eigenen Wahlordnung. Außerdem erspart sich der:die Kund:in die manuelle Übertragung der Ergebnisse in ein weiteres, externes Tool oder eine Berechnungstabelle.
Für welche Kundengruppen und Anwendungsfälle ist das Feature „Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner“ interessant?
Die Funktion bietet sich insbesondere für Wahlen an, bei denen Sitze bei einer Verhältniswahl zugeteilt werden müssen, sprich bei Wahlen, bei denen mehrere Listen gegeneinander antreten. Denn hier ist die Berechnung komplizierter als bei einer reinen Personenwahl mit nur einem:einer Gewinner:in. Der Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner erleichtert das Ganze hier enorm.
Vor allem für Universitäten und Hochschulen sowie Kammern und auch Genossenschaften dürfte die Funktion eine Entlastung sein. Im Hochschulbereich, beispielsweise bei Senatswahlen und den Wahlen zum Studierendenparlament, in denen mehrere Listen (oder auch Hochschulgruppen) gegeneinander antreten, wird eine solche Berechnung der Sitzverteilung eingesetzt.
Warum wurden diese drei Verfahren (Hare/Niemeyer, D’Hondt und Saint-Laguë/Schepers) eingebunden?
Jedes dieser Verfahren wurde bereits für die Berechnung des deutschen Bundestages eingesetzt. Aktuell werden die Verfahren im politischen Bereich bei Europawahlen, Kommunalwahlen oder Wahlen in Ausschüssen des Bundestags angewandt. Sie sind im deutschsprachigen Raum auch über die politischen Wahlen hinausgehend die meistverwendeten Berechnungsverfahren, weshalb wir diese auch unseren Kund:innen anbieten. Das D’Hondt-Verfahren wird noch bei vielen Universitäten eingesetzt, Saint-Laguë/Schepers ist ein eher neues Verfahren, ähnelt der D’Hondt-Berechnung jedoch stark.
Wie funktioniert die Berechnung im Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner selbst?
Der Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner kann vor der stattfindenden Wahl im POLYAS Online Wahlmanager hinzugebucht werden und nach Beendigung dieser benutzt werden. Der:die Kund:in wählt die Berechnungsmethode entsprechend seiner:ihrer Wahlordnung und stellt ggf. weitere Parameter wie eine Prozenthürde ein und lässt das Ganze mit einem Klick berechnen.
Die Ergebnisse, also beispielsweise die Sitzverteilung, werden dann in einer Excel-Datei zur Verfügung gestellt. Sollte man eine Einstellung falsch gesetzt haben, kann man die Berechnung jederzeit erneut anstoßen.
Natürlich kann der:die Kund:in auch jederzeit die Berechnung nach einem anderen Verfahren testen, sollte er:sie sich dafür interessieren, inwiefern eine andere Methode die Sitzverteilung beeinflusst. Grundsätzlich sind die Berechnungsmethoden jedoch in der Wahlordnung festgelegt.
Danke Kati für deine Zeit und deine Antworten!
Berechnung der Sitzverteilung in der Praxis
Die Unterschiede der drei Verfahren verdeutlichen wir nun nochmals in einem kurzen Beispiel:
Unser Beispielstimmzettel:
- 3 Listen stehen zu Abstimmung
- Maximal 6 Stimmen dürfen auf dem Stimmzettel abgegeben werden.
- Ein:e Kandidat:in bzw. Wahloption darf maximal eine Stimme erhalten.
Die Beispielwahl:
- 20 Personen sind wahlberechtigt.
- 10 Stimmzettel wurden abgegeben, 7 davon sind gültig.
- 16 Stimmen wurden insgesamt für diesen Stimmzettel abgegeben.
Für die beispielhafte Berechnung sollten laut Wahlordnung 10 Sitze vergeben werden und die abgegebenen gültigen Stimmen (=16) wurden als Basiswert bestimmt. Die Ergebnisse der drei Sitzverteilungs-Verfahren im Vergleich:
Die drei Berechnungsverfahren ergeben minimale Unterschiede in der Sitzverteilung. Einzig bei Saint-Laguë/Schepers erhält auch Liste 3 einen Sitz. Hier zeigt sich die Nicht-Bevorteilung von großen Parteien bei diesem Verfahren. Bei der Nutzung von Hare/Niemeyer würde der 10. Sitz zwischen Liste 1 und Liste 3 ausgelost werden müssen.
Die genaue Zuteilung können Sie anhand folgender Tabelle nachvollziehen.
Sie möchten den Sitzverteilungs- und Mehrheitsrechner nutzen? Sprechen Sie uns gerne an!