In diesem Frühjahr bewilligte der Schweizer Bundesrat den Einsatz eines neuen E-Voting-Systems, mit welchem die Schweizer:innen im Laufe der kommenden Jahre sowohl regional als auch national abstimmen dürfen. Wahlen in der Schweiz wurden auch früher schon online durchgeführt. Damit ist die Alpenrepublik bisher Vorreiter im Bereich digitaler Wahlen.

Bis 2019 führte die Schweiz bereits 300 Test-Wahlen mit einem E-Voting-System der schweizerischen Post durch. Ziel war es, Erfahrungen zu sammeln und das Vertrauen in diese Technologie zu steigern. Aufgrund von Sicherheitsmängeln wurde das System 2019 allerdings außer Betrieb genommen. Man wollte das System überarbeiten und dann einen weiteren Versuch starten.

Nächste Wahlen in der Schweiz wieder online

Inzwischen hat der Schweizer Bundesrat seine Zustimmung erteilt: Am 18. Juni wird das überarbeitete E-Voting-System, erstmals in drei Kantonen zum Einsatz kommen. Die Schweizer:innen stimmen hier über die OECD/G20-Mindestbesteuerung, das Klima- und Innovationsgesetz und das Covid-19-Gesetz ab.

65.000 Auslandschweizer:innen aus den Kantonen Basel-Stadt, Thurgau und St. Gallen dürfen online abstimmen – das sind 1,2 Prozent aller Wahlberechtigten in der Schweiz. Auch das Kanton Graubünden hat bereits angekündigt, das neue E-Voting-System ab 2024 testen zu wollen. Andere Kantone prüfen diese Option ebenfalls.

Wahlen in der Schweiz

Bis Mai 2025 dürfen unterschiedliche Wahlen in der Schweiz mit dem System durchgeführt werden. Vielleicht kommt es sogar bei den Parlamentswahlen im Oktober zum Einsatz. Hier müsste der Schweizer Bundesrat allerdings eine gesonderte Bewilligung erteilen.

Insbesondere die Auslandsschweizer-Organisation (ASO), die das Thema seit Jahren fördert, freut sich, dass Wahlen in der Schweiz nun endlich wieder auch digital stattfinden.

Mehr zum E-Voting in der Schweiz am 18. Juni lesen >

Sicher und verifizierbar abstimmen

Entwickelt wurde das neue E-Voting-System erneut von der Schweizer Post. Der gesamte Entwicklungsprozess wurde von externen Expert:innen überwacht und von der Schweizer Bundeskanzlei begleitet.

Der Quellcode des neuen Systems ist bereits seit 2021 öffentlich einsehbar. Seither gab es eine Vielzahl an Prüfungen, um zu gewährleisten, dass das System sicher ist. Neben einem sogenannten Bug-Bounty-Programm, einer Initiative, bei welcher für das Identifizieren und Beheben von Fehlern innerhalb der Software Geldpreise in Aussicht gestellt wurden, gab es auch öffentliche Intrusionstests. Bei diesen werden bewusst Änderungen am System oder der Umgebung vorgenommen, um anhand der Reaktion des Systems Fehler und Schwächen aufzudecken. Nachdem die Testergebnisse überzeugten, wurde das System im Frühjahr dieses Jahres schließlich freigegeben.

Neu an der überarbeiteten Version ist insbesondere die vollständige Verifizierbarkeit der Stimmabgabe: Wähler:innen erhalten einen Stimmrechtsausweis sowie eine Liste mit persönlichen Prüfcodes, die sie erstens für die Stimmabgabe benötigen und zweitens zur Überprüfung der korrekten Übermittlung der Stimme an die Wahlurne.

Sicheres E-Voting-Tool

Während des Wahlvorgangs müssen die Codes eingegeben oder mit dem im System angezeigten Code abgeglichen werden. Die Stimmabgabe wird somit mehrfach durch den:die Wähler:in verifiziert.

Auf diese Weise soll das Vertrauen in die Sicherheit des neuen Systems gesteigert werden und bei zukünftigen Wahlen in der Schweiz wieder vermehrt auf die moderne Art der Stimmabgabe gesetzt werden.

POLYAS hat für die Überprüfung der Stimmabgabe einen ähnlichen Weg eingeschlagen, wie die Schweiz. Mehr zur Individuellen Verifikation bei POLYAS lesen >

Nicht-politische Wahlen in der Schweiz: Vier Fragen an die Schweizer Demokratieplattform democracy.guru

Bei politischen Wahlen in der Schweiz schreitet das Thema E-Voting also voran, doch wie ist der Stand bei nicht-politischen Abstimmungen? Wird hier schon online gewählt und ist es überhaupt erlaubt? Wir haben mit Lukas von Känel und Esther Codina von der Demokratieplattform democracy.guru gesprochen, um diese Fragen zu klären:

Hallo Lukas, hallo Esther, könnt Ihr euch und eure Organisation democracy.guru kurz vorstellen?

Lukas von Känel: Democracy.guru ist eine Schweizer Plattform für digitale Demokratie-Lösungen im nicht-politischen Bereich. Im ersten Kapitel unserer Geschichte wollen wir uns aufs E-Voting, also Online-Wahlen, fokussieren.

Esther Codina: Warum eine Plattform? Die Innovation und auch die Zahl der Anbieter für Demokratie-Anwendungen nimmt weltweit stark zu. Wir denken, eine unabhängige non-profit Plattform kann hier wertvolle Dienste leisten, damit die Kunden den optimalen Anbieter für ihre Partizipations-Anwendungen finden können. Optimal heisst für democracy.guru zuerst hochsicher und rechtskonform, und dann natürlich auch wählerfreundlich! Wir freuen uns auf die Partnerschaft mit POLYAS und werden unsere Dienste ab Sommer 2023 freischalten.

Mehr zu democracy.guru erfahren > 

Die Schweiz ist beim Thema Online-Wahlen schon recht weit, im März wurde das neue E-Voting-System der Post zugelassen und am 18. Juni wird es erstmals in drei Kantonen getestet. Wie ist der Stand beim Thema Online-Wahlen in nicht-politischen Organisation wie zum Beispiel Unternehmen oder Genossenschaften in der Schweiz. Wo darf online gewählt werden und wo nicht?

Esther Codina: Mit dem neuen Aktienrecht, welches am ersten Januar in der Schweiz in Kraft getreten ist, können Generalversammlungen von Firmen in rein digitaler Form – also virtuell – durchgeführt werden. Gemäß Artikel 701c OR kann der Verwaltungsrat bestimmen, dass die Aktionäre ihre Rechte in elektronischer Form ausüben können, gemäß Artikel 701d OR kann die Versammlung ganz virtuell durchgeführt werden.

Lukas von Känel: Democracy.guru geht davon aus, dass mit dem neuen Aktienrecht die Online-Abstimmung von Aktionären in Schweizer Unternehmen ein starkes Wachstum erfahren wird, in Ergänzung zur physischen bzw. hybriden Versammlung. Die briefliche Abstimmung kann mit E-Voting jetzt stark vereinfacht werden, das gilt insbesondere auch für außerordentliche Entscheide im Korrespondenzverfahren.

In Deutschland werden bereits viele nicht-politische Wahlen per Online-Wahl durchgeführt. Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht vor, dass künftig auch Betriebsratswahlen digital ermöglicht werden sollen. Welche Arten von nicht-politischen Wahlen können in der Schweiz bereits digital durchgeführt werden und gibt es diesbezügliche Fortschritte?

Esther Codina: Bei Vereinen, Stiftungen und Genossenschaften waren und sind Online-Wahlen möglich. Wichtig ist, dass dies durch die Statuten, das Organisationsreglement oder die Stiftungsurkunde explizit ausgestaltet ist. Durch das Notrecht während der COVID-Pandemie konnten die Teilnahmerechte an einer Versammlung auch ohne Statutenanpassung elektronisch ausgeübt werden. Dies hat auch in der Schweiz zu einem Boom an virtuellen Versammlungen und Wahlen geführt, auch wenn diese meist improvisiert wurden. Jetzt muss es das Ziel sein, diese ersten positiven Erfahrungen in eine verbreitete Praxis zu überführen.

Lukas von Känel: Ein neuartiger Anwendungsfall, den democracy.guru fördern und bewerben möchte, ist die Partizipation von Mitarbeitern und Mitgliedern in wichtigen Sachfragen. Wir nennen es «Ask Your Team». Beispiele sind sichere Abstimmungen und Umfragen in Firmen über die Ausgestaltung der Home-Office-Regelung oder über die Unterstützung von strategischen Initiativen.

Lesen Sie jetzt unser Experten-Interview zum Thema „Digitalisierung von Betriebsratswahlen“ >

Schweizer:innen gelten als sehr digitalaffin und die vielen Testläufe, die bereits mit dem E-Voting-System der Post vor 2019 unternommen wurden, zeigen die Offenheit der Bevölkerung gegenüber modernen Wahlmethoden. Wie könnte sich das zukünftig auf die politische Partizipation im Land auswirken?

Lukas von Känel: Die Schweiz als Wirtschaftsnation gründet ihren Erfolg auch auf einer erfolgreichen Digitalisierung. Der öffentliche Bereich ist im Vergleich mit anderen europäischen Ländern in der Digitalisierung noch nicht Spitze, holt aber stetig auf. Wenn es um Demokratie und damit um Wahlen und Abstimmungen geht, sind die Schweizer konservativ und sehr vorsichtig, sicherlich auch weil die Partizipation hier eine große und erfolgreiche Geschichte hat! Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass sich die Mehrheit der Stimmberechtigten in Zukunft das E-Voting wünscht. Darum sind kleinere und erfolgreiche Online-Wahlen, wie sie aktuell stattfinden, der Weg zum Ziel.

Esther Codina: Natürlich gibt es auch Bedenken und Kritik zum politischen E-Voting, weil dadurch das Abstimmungsverhalten verändert werden könnte. Hierzu können die begrenzten E-Votings in einigen Kantonen weiteren wichtigen Aufschluss geben. Wenn man bedenkt, dass heute bereits ungefähr 90 Prozent der Schweizer brieflich wählen, dann ist der Schritt zur elektronischen Wahl jedoch eigentlich eine Formsache.

Vielen Dank für das spannenden Interview!