POLYAS Interview mit Geschäftsführer Kai Reinhard

Das Jahr 2020 wird uns allen noch lange in Erinnerung bleiben. Herausforderungen mussten bewältigt, Hürden überwunden und Stressgrenzen ausgetestet werden. Wir Mitarbeiter:innen von POLYAS haben auch viel dazu gelernt und sind über uns hinausgewachsen – trotz Homeoffice. Aber wie hat unser Geschäftsführer und POLYAS Gründer Kai Reinhard dieses Jahr erlebt? Mit welchen Gefühlen blickt er auf dieses verrückte Jahr zurück? Wie empfindet er die Entwicklung von POYLAS? Und wie genau fing das alles nochmal an? Wir haben ihn dazu befragt und sind mit ihm in die Vergangenheit gereist.

Kai, erzähl uns doch gern nochmal die Entstehungsgeschichte von POLYAS. Was genau hat die Liebe damit zu tun?

Ich sage gern, dass wir POLYAS der Liebe zu verdanken haben. Denn eigentlich ist es eine schöne Liebesgeschichte. Einer meiner Studienkollegen und später Miterfinder von POLYAS machte sich 1995 auf nach Finnland, um sein Auslandssemester zu absolvieren und verliebte sich in eine Finnin. In diesem Jahr fand die Präsidentschaftswahl in Finnland statt und so wurde das Thema Demokratie in den Schulen besprochen. Und hier kam die Idee: Die Schüler:innen sollten auch Wahlen durchführen können wie die Wahlberechtigten. Und so bauten wir sechs Studenten eine Software mit der 30.000 Schüler:innen eine Online-Wahl durchführen konnten. Finnland war uns damals schon einen Schritt voraus. In Deutschland hatten kaum Leute Internet, in Finnland waren es 1995 schon fast die Hälfte der Schulen. Und so kam es, dass 30.000 Schüler:innen mit unserer Software eine Online-Wahl durchführen konnten. Die weiteren 30.000, die noch nicht ans Netz angeschlossen waren, machte diese mit dem Faxgerät.

Was haben die Menschen damals gesagt oder gedacht, als ihr mit dieser Idee um die Ecke kamt?

Am Anfang hat keiner Kenntnis davon genommen. Wir als Gründer haben auch nicht daran gedacht, dass das so ein großes Thema werden könnte. Wir haben in diesem Moment nur das Projekt für die Schulen durchgeführt. 1999 wurde es in Finnland sogar nochmal wiederholt. In diesem Jahr konnten auch alle 60.000 Schüler:innen mit online wählen. Es wurde kein Faxgerät mehr benötigt. Zu diesem Zeitpunkt hatte keiner von uns eine Vorstellung, was daraus noch werden wird.

Wie ging es dann weiter mit POLYAS?

1999/2000 gab es eine Forschungsgruppe ‚Wahl‘ mit einem Professor für Sozialwissenschaft. Wir erzählten ihm, dass wir eine Online-Wahl schon mal durchgeführt haben und wir zusammenarbeiten könnten. Nach kurzer Zeit stellte sich allerdings heraus, dass diese Zusammenarbeit nichts werden würde. In diesem Moment merkten wir, dass die Online-Wahl wohl doch ein größeres Thema sein könnte. Schlussendlich lernten wir Gerald Wolff kennen, der sich mit den Juniorwahlen in Deutschland beschäftigte. So kam es, dass wir im Jahr 2001 mit 1.000 Schulen eine Online-Wahl durchführen konnten. Daraufhin wurden immer mehr Menschen auf uns aufmerksam. 2003 kam die Initiative D21 auf uns zu und wollte ihren Vorstand mit uns wählen. Das war unsere erste größere Wahl, die uns noch mehr Aufmerksamkeit brachte.

Was ist dein persönlicher Durchbruch im Jahr 2020 gewesen?

Im Jahr 2020 haben wir die POLYAS Online-Wahlsysteme CORE 2.2.3 und CORE 3.0 nochmals verbessert.

Bei einem korrekten Ablauf einer Online-Wahl und der digitalen Stimmabgabe sind grundsätzlich sowohl für Wähler:innen als auch für Wahlleiter:innen alle Stimmen überprüfbar. Hier wird allerdings zwischen zwei Arten der Verifikation unterschieden: der universellen Verifikation und der individuellen Verifikation. Bei der universellen Verifikation hat der Wahlleiter die Möglichkeit, den korrekten Ablauf der Wahl sowie die korrekte Auszählung zu überprüfen. Im Fall der individuellen Verifikation können die Wahlberechtigten nachvollziehen, ob ihre Stimme unverändert in die Wahlurne gelegt und anschließend ausgezählt wurde. Bei beiden Methoden wird das Wahlgeheimnis gewahrt.

Auch der Selfservice ist ein sehr wichtiges Produkt aus dem Jahr. Anfang des Jahres haben wir schnell gemerkt, dass das Thema Online-Wahlen Fahrt aufnimmt, und so haben wir unser neues Produkt schnell den an den Start gebracht. Das hat mich persönlich sehr gefreut. Im Selfservice organisieren die Unternehmen etc. ihre Wahl allein, ohne die Hilfe von POLYAS. Auch für das Live Voting ist der CORE 3.0 nun Standard. Das Live Voting ist vor allem für Organisationen, Parteien etc. sehr spannend, da sie es bei ihren digitalen Versammlungen nutzen.

Alle weiteren Produkte und Informationen finden Sie hier!

Was ist dein persönliches Highlight aus dem Jahr?

Das Team – auf jeden Fall. Jedes Jahr entwickelt sich der Spirit weiter. Auch durch die neuen Mitarbeiter:innen, die sich so schnell eingelebt haben. Das ist auch unsere Kultur. Wir wollen glückliche Mitarbeiter:innen, wir schätzen jeden und freuen uns auch über jeden, der das Team mit guten und individuellen Ideen unterstützt. Durch das Homeoffice sehen wir uns nur noch über Teams, aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir noch enger zusammenarbeiten. Das Gefühl, etwas zusammen bewegen zu können, etwas schaffen und erschaffen zu können, ist uns und mir als Geschäftsführer und Gründer natürlich sehr wichtig. Dadurch, dass wir mehrere Standorte haben, finde ich es umso toller, dass wir auch auf die Entfernung so ein großartiges Team sind. Ich hoffe, dass das alle Mitarbeiter:innen so empfinden.

POLYAS stellt alle Wahlgrundsätze sicher. Wie gehst du als Gründer damit um, wenn Kritik gegenüber der Software geäußert wird?

In der Tat zweifeln noch einige Studierende und sind sich nicht sicher, ob sie mit uns wählen wollen. Ich persönlich finde es aber auch gut, dass die Studierenden alles hinterfragen, so war ich als Student auch. Auch ich habe erstmal alles angezweifelt und hinterfragt. Mit unserer Software sind aber selbstverständlich alle Wahlgrundsätze sichergestellt. Am Ende waren es die Kritiker, die uns immer weiter nach vorn gebracht haben. Mit jedem Gerichtsurteil, welches für uns sprach, wurde das Vertrauen größer. Wir wollen mit POLYAS versuchen, dass jeder auf der Welt wählen kann, egal wo und wann. Mittlerweile kommen jeden Tag immer mehr Universitäten, Unternehmen und Parteien auf uns zu und entscheiden sich für POLYAS. Für die Online-Wahl. Für die Zukunft.

Hättest du vor 20 Jahren gedacht, dass POLYAS mal so erfolgreich werden wird?

Wir hatten immer gute Ideen und wir haben damals schon gedacht, dass unsere Software weltweit eingesetzt werden kann und etwas Großes wird. Vor 10 bis 15 Jahren war ich sogar optimistisch, dass es schneller gehen wird. Vor drei Jahren hatte mich der Optimismus dann komplett verlassen, da habe ich nämlich gemerkt, dass das Thema in der Öffentlichkeit sehr zäh behandelt wird. Mir war zwar schon klar, dass es irgendwann akzeptiert und überall möglich sein wird, aber dass es so lange dauert, hätte ich damals nicht gedacht. Es ist auch klar, dass die Bundestagswahlen irgendwann online durchgeführt werden. Die Frage ist auch nicht ob oder wie, sondern wann. Wir waren mit POLYAS 20 bis 25 Jahre zu früh dran. Seit 25 Jahren beschäftigen wir uns mit Online-Wahlen und im Jahr 2020 wird es erst durch eine Pandemie zum großen Thema. Auch in der Politik.

Wenn du auf das Jahr 2020 zurückschaust, was geht dir dann durch den Kopf?

Durch Corona und die Pandemie haben wir auf jeden Fall einen ordentlichen Aufschwung bekommen. Es sind mehr Menschen auf uns aufmerksam geworden. Trotz Pandemie und Kontaktbeschränkung wollen Unternehmen, Parteien, Universitäten und viele mehr ihre Wahlen online durchführen und sind so auf uns gestoßen. Viele Unternehmen wurden in diesem Jahr digitaler – Stichwort Home Office – und auch beim Thema Wahlen sind viele digitaler geworden. Die Briefwahl war im Ursprung eigentlich auch nur als Ausnahme gedacht, wenn Wähler:innen krank sind, arbeiten müssen oder nicht vor Ort sein können. Bei einer Briefwahl muss klar sein, dass die Anonymität auf Vertrauen basiert. Die Wähler:innen müssen das Vertrauen in jeden Menschen haben, die den Brief entgegen nehmen. Dem Briefträger, der Post und Wahlhelfer:innen die den Brief öffnen. Ein weiteres Argument gegen eine Briefwahl ist der Verlust von Stimmen. Bis zu drei Prozent der Stimmen können verloren gehen. Das kann beispielsweise bei einem Parteivorsitz entscheidend sein. Mit unserem Wahlsystem gehen keine Stimmen verloren. Auch die Anonymität der Wähler:innen bleibt gewahrt. Alle Daten sind geschützt und können nicht eingesehen werden. In diesem Jahr haben sich mehr Unternehmen etc. dazu entschieden, ihre Wahlen online durchzuführen. Die Menschen sind jetzt mobiler und coronabedingt gibt es keine Präsensveranstaltungen. Von daher denke ich auch, dass in Zukunft viele weitere Veranstaltungen und Wahlen online stattfinden werden.

Wo siehst du POLYAS in den nächsten Jahren? Was sind die nächsten Ziele?

Wir wollen im nächsten Jahr die Skalierung hochtreiben. Wir wollen Wahlen im Self Service vorantreiben und das Live Voting pushen. Ich gehe auch davon aus, dass sich mehr Parteien und auch der Bundestag dazu entscheiden, Online-Wahlen durchzuführen. Denn Briefwahlen lassen sich nicht über Online-Wahlen stellen. Das ergibt keinen Sinn, die Gefahr, dass Briefe verloren gehen oder das Wahlgeheimnis nicht eingehalten wird, ist zu groß. Ich gehe davon aus – und das sage ich nicht nur als Gründer von POLYAS –, dass Online-Wahlen in zehn Jahren durchgängig eingeführt sind und es keine Briefwahl mehr geben wird. Die Online-Wahl wird die Briefwahl überall ersetzen. Das ist auch unser Ziel. Denn wir wollen sichere Wahlen durchführen, für jeden und jede.

Ich sehe auch die Chance in Ländern, die sich mit demokratischen Wahlen schwertun, weil sie nicht so dicht besiedelt sind. In Afrika zum Beispiel haben viele Menschen ein Smartphone oder ein Satellit Telefon, aber keine Möglichkeit weite Strecken zu gehen, um wählen zu können. Hier wäre es doch großartig, wenn sie Online-Wahlen durchführen könnten. Wir können sichere Wahlen überall hinbringen, auch kostenmäßig. Wir schaffen mehr Demokratie. Wir können mehr Partizipation erreichen. In den nächsten Jahren ist es unser Ziel, für wenig Kosten Online-Wahlen im globalen Süden anbieten zu können. Wählen sollte für alle Menschen möglich sein. Überall.