Immer mehr Menschen  in Deutschland entscheiden sich dafür, nicht mehr an Wahlen teilzunehmen. Könnten Online-Wahlen einen Anreiz bieten, wieder mehr Menschen an die Wahlurnen zu locken.
Seit einigen Wochen suchen Meinungsforschungsinstitute, Wahlforscher und die Medien nach Gründen für die Politikverdrossenheit der Deutschen.

Volksparteien ohne Volk

Die beiden ehemals großen Volksparteien CDU und SPD sind in den letzten Jahren immer mehr in die Mitte gerückt. Ihre Inhalte überschneiden sich. Für viele Wähler stellt sich das politische Programm der Parteien als grauer Einheitsbrei dar. Alternativen für die profillosen Großparteien gab es bis vor Kurzem wenige und die, die es jetzt gibt, sind für die Mehrheit der Bürger nicht wählbar.

Null-Bock-Einstellung bei den Wählern

Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer erörtert im Interview mit Deutschlandradio Kultur, dass die Wahlberechtigten sich das Angebot der Parteien anschauen und bemerken, dass deren die Inhalte sich sehr stark ähneln. Deshalb entscheiden sie sich entweder für ein extremes Angebot, wählen keines der Angebote aus oder entscheiden sich für das Angebot, das die beste Marketingstrategie hat. Das spiegelt sich auch in aktuellen Umfragen wieder, hier sinkt die SPD auf 20% ab und auch die CDU erreicht nur noch 31,5%.

Starke Individualisierung der Gesellschaft

Ein weiterer Grund für die Krise der Volksparteien sind die klassischen Wählermilieus, die so nicht mehr existieren. Früher galt: wer der Arbeiterklasse angehörte, wählte SPD und wer Unternehmer war und konservativ, der ging eben zur CDU. Doch so gerade verläuft diese Linie heute nicht mehr. Es scheint, als könne sich unsere Gesellschaft nicht mehr mit den Inhalten der Parteien identifizieren.

Neues Profil für die Parteien

Was aber könnten die Parteien unternehmen, um dem sinkenden Wählerzuspruch entgegenzuwirken? Gero Neugebauer, der sich schon lange mit der Parteienlandschaft Deutschlands, insbesondere der Entwicklung der SPD beschäftigt, erklärt am Beispiel der Sozialdemokraten, dass die Partei ihr Profil zurückgewinnen müsse. Er führt an, dass es zwei Wege gebe, sich zu profilieren.

Einerseits steht die SPD für soziale Gerechtigkeit, aber von sozialer Gerechtigkeit reden momentan alle. Deshalb muss die SPD deutlich machen, weshalb ihre sozialdemokratische soziale Gerechtigkeit die beste ist. Eine andere Möglichkeit wäre die klare Positionierung der SPD zu den Fragen der Globalisierung, denn rein nationale Angebote werden immer geringer.

Mehr Dialog mit den Bürgern

SPD-Vize Ralf Stegner erklärte kürzlich in einem Interview, dass die Politik wieder mehr Bürgernähe zeigen sollte. Er kritisierte die Vorstellung von „Die da oben, wir hier unten.“ Und erklärte, dass man mit den Menschen reden müsse, die Dinge aber auch ganz klar benennen solle. Es ist der Sinn der Politik das Leben der Menschen besser zu machen, genau das müsse sie auch ausstrahlen. Ralf Stegner ist der Ansicht, dass die Politikverdrossenheit mit einem intensiveren Bürgerdialog zu bekämpfen sei.

Aber es stellt sich die Frage: haben die Bürger überhaupt noch Lust auf einen solchen Dialog. Halina Wawzyniak , die für Die Linke im Bundestag sitzt, berichtete kürzlich auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin unter dem Titel „Politik zurückholen“ davon, dass sie in den letzten Jahren festgestellt habe, dass die Leute nicht mehr zu ihr ins Wahlkreisbüro kämen, um sich mit ihr über ihre Probleme und Anliegen auszutauschen.

Die geringe Wahlbeteiligung hat nicht nur eine Ursache

Festzuhalten ist, dass die Gesellschaft mit der Politik und der Parteienlandschaft in Deutschland höchst unzufrieden ist. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr repräsentiert und trauen den Politikern keine Lösungen mehr zu. Außerdem unterscheiden sich die Parteien zu wenig voneinander. Keine sticht, sei es durch eine sympathische und kompetente Führungsfigur oder ein neues und modernes Parteiprogramm aus der Masse heraus. Für viele Wähler, so schreibt ein Autor des Cicero, und ich muss gestehen, ich glaube, er hat Recht, stellt sich die Frage: „Wen soll man denn noch wählen?“
Es scheint, dass die Gründe für die Politikverdrossenheit und die geringe Wahlbeteiligung nicht einfach gefunden werden könnten.

Brauchen wir die Volksparteien noch?

Die logische Schlussfolgerung aus der Komplexität der Gründe könnte also lauten: eine Einheitslösung für alle ist nicht möglich. Vielleicht ist es auch so, dass es in Zukunft keine großen Volksparteien mehr geben wird, denn die globale Gesellschaft ist mittlerweile so komplex und individuell, dass eine Partei gar nicht mehr in der Lage ist eine große Masse zu bedienen. Möglicherweise müssen wir uns an ganz neue Koalitionen, wie die Kiwi-Koalition oder eine Jamaika-Koaltion gewöhnen. Und eventuell sind diese Koalitionen ja gar nicht so schlecht.

Online-Wahlen und Digitalisierung als Chance

Wie Gero Neugebauer ausgeführt hat, scheint die Wählbarkeit von Parteien auch von einem geschickten Marketing abzuhängen. Dieses Marketing findet zunehmend im Internet statt. So sollten Parteien vielleicht auf den Bürgerdialog im Netz setzen und den potenziellen Wähler hier ihre Inhalte präsentieren. In der Politik geht es oft auch um Sympathie und kompetentes Auftreten. So ließe sich die These formulieren, dass ein gekonnter Online-Auftritt die Wähler überzeugen kann.

Die geringe Wahlbeteiligung ließe sich womöglich mit einer einfacheren, praktischeren Möglichkeit zur Stimmabgabe bekämpfen. Eine Möglichkeit, die beispielsweise in Estland schon angewendet wird und gute Ergebnisse erzielen konnte, ist die Online-Wahl.
Lesen Sie jetzt mehr zu den Vorteilen der Online-Stimmabgabe!

About Elisa Utterodt

Egal ob in Österreich, Syrien oder den USA, politische Entscheidungen und Demokratie sind für mich nicht nur in Deutschland von Belang. Vor allem der Einfluss der Digitalisierung auf Kultur und Gesellschaft ist für mich ein spannendes wie aktuelles Thema, über das ich gerne berichte. Wenn ich nicht gerade Zeitung lese oder meine Twittertimeline checke, schaue ich mir zur Entspannung Bundestagsdebatten im Fernsehen an. Seit März dieses Jahres bin ich bei Polyas für die Pflege der Social Media Kanäle zuständig, schreibe Blogartikel und unterstütze das Online-Marketing-Team.