Nachgefragt: Wir haben mit Dr. Matthias Palzkill, dem technischen Berater vom VDI/VDE-IT, über den Einfluss von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt gesprochen. Er hat uns erklärt, wann Roboter den Menschen in der Arbeitswelt ablösen werden.

Guten Tag Herr Dr. Palzkill, wir sprechen heute über die Chancen der Digitalisierung für unseren Arbeitsmarkt. Wie stellt sich die Situation in Deutschland aktuell dar?

Viele Menschen sind derzeit verunsichert. Sie fragen sich, ob ihre Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt noch gebraucht werden und welche Fähigkeiten sie ausbilden müssen. Die große Angst der Arbeitnehmer ist der Wegfall von Arbeitsplätzen und ganzen Berufszweigen. Der Prozess der Digitalisierung ist schon längere Zeit im Gange, aktuell nimmt er Geschwindigkeit auf, das trägt natürlich zur Unsicherheit der Menschen bei. Doch man kann allgemein sagen, dass Deutschland trotz Fachkräftemangels beispielsweise bei Industrieinformatikern insgesamt gut aufgestellt ist, was den digitalen Arbeitsmarkt angeht.

Es gibt viele qualifizierte Arbeitnehmer, deren Potenzial genutzt werden kann. Die Entwicklungen der Industrie 4.0 sollten daher als Chance begriffen werden und nicht als Gefahr. Ein Beispiel hierfür wäre, dass Deutschland durch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung zu einem noch attraktiveren Industrie- und Produktionsstandort werden kann. So besteht beispielsweise die Möglichkeit die Produktion verschiedener Produkte, die ausgelagert wurden, wieder zurückzuholen. Besonders bei Produkten der sogenannten Losgröße 1, also kundenindividuellen Produkten, sind die Chancen einer Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland immens.

Roboter unterstützen ja schon in vielen Sparten der Industrie die Tätigkeiten des Menschen, welche Entwicklungen wird es in diesem Bereich in den kommenden Jahren noch geben?

Oft ist in den Medien ja die Rede davon, dass der Roboter den Menschen in der Fertigung irgendwann komplett ersetzen wird, aber das stimmt so nicht. Es ist zu beobachten, dass die Industrie verstärkt auf die Mensch-Roboter-Kollaboration hinarbeitet, um den Arbeitnehmer bei komplexen Tätigkeiten zu unterstützen. Die Arbeit des Menschen und der Maschine werden ineinandergreifen und sich ergänzen.
Hierfür müssen Roboter ihre Schutzkäfige verlassen und sich in den Produktionshallen frei bewegen, um den Arbeitnehmer da zu unterstützen, wo ihre Hilfe benötigt wird.
Diese Entwicklung bleibt nicht auf die Produktion beschränkt, auch im Alltag werden uns in Zukunft häufiger Roboter begegnen.

Wird ein Roboter dann in Zukunft meinen Geschirrspüler ausräumen und die Wäsche waschen?

Nein, das ist jedenfalls in naher Zukunft eher unwahrscheinlich. Die Dinge, die für einen Roboter einfach und schwer zu bewältigen sind, werden aus Sicht des Menschen ganz anders eingeschätzt. So fällt einem Menschen das Aus- und Einräumen der Geschirrspülmaschine vergleichsweise leicht, während ein Roboter große Schwierigkeiten mit dieser Tätigkeit hat, schlicht weil ihm bislang die Feinmotorik und die Wahrnehmung fehlen. Die ersten Service-Roboter werden uns an anderen Orten begegnen. Möglicherweise zuerst auf Parkplätzen, um das menschliche Sicherheitspersonal zu unterstützen oder auf der Straße, um Pakete und Einkäufe auszuliefern. Oder vielleicht auch als freundlicher Informationskiosk, der einem den Weg erklärt.

Gerade aus Amerika hörte man in letzter Zeit, dass Roboter den Menschen gefährdeten, statt seine Umgebung sicherer zu machen. So wurde beispielsweise ein Roboter in einer Mall als Sicherheitsmann eingesetzt und überfuhr ein Kleinkind.

Dr. Matthias Palzkill vom VDI im Interview über Industrie 4.0 über die Digitalisierung der Arbeit

Dr. Matthias Palzkill ist Technology Consultant beim VDI

Das ist zweifelsohne ein tragischer Unfall, ich weiß leider nicht, was hier genau vorgefallen ist. Jedoch muss gesagt werden, dass es in Amerika auch etwas anders ist als in Deutschland. Wir hier denken zunächst sehr lange über mögliche Folgen einer neuen Technologie nach, bevor wir sie dem freien Markt zur Verfügung stellen, das ist in Amerika nicht so. Vielleicht kann man Alltagsroboter auch mit Rolltreppen vergleichen. Sie vereinfachen unser Leben sehr und niemand käme auf die Idee den Nutzen einer Rolltreppe in Zweifel zu ziehen, aber dennoch muss man eine gewisse Achtsamkeit im Umgang mit der Rolltreppe walten lassen und selbst mitdenken. Mit Robotern ist das genau so.

Stellt die zunehmende Digitalisierung eine Herausforderung für den Arbeitnehmer dar und was kann man tun, um seine Chancen auf dem digitalen Arbeitsmarkt zu verbessern?

Sicherlich wird der Arbeitnehmer durch die neuen Entwicklungen herausgefordert und muss sich weiterentwickeln. Ich denke aber ganz konkret, dass es vor allem wichtig ist, dass man neuen Technologien aufgeschlossen gegenüber steht und auch bereit ist sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie auszuprobieren. Das fängt ja schon beim Smartphone und den Sozialen Medien an: Bin ich bereit mir neue Apps herunterzuladen und die Funktionen meines Smartphones auch zu nutzen oder nicht? Natürlich sind auch Weiterbildungen wichtig, um seine Chancen auf dem digitalen Arbeitsmarkt zu verbessern. Jeder Berufstätige ist heutzutage mit IT und Software konfrontiert. Deshalb ist es einfach wichtig, dass er offen auf diese neuen Herausforderungen zugeht und sie auch annimmt.

Interviewerin: Was kann der Gesetzgeber tun, um die Digitalisierung für den Arbeitnehmer zur Chance zu machen?

Hier gibt es eine Reihe von möglichen Handlungsfeldern, wie Datensouveränität, Haftungsfragen und Privacy. Durch die Digitalisierung besteht beispielsweise die Gefahr, dass der Arbeitnehmer immer transparenter wird – sozusagen gläsern. Der Gesetzgeber kann einer solchen lückenlosen Überwachung des Arbeitnehmers entgegensteuern. An einigen Stellen benötigen wir vielleicht auch einen neuen gesellschaftlichen Konsens, um den Sozialstaat durch die Digitalisierung nicht zu gefährden.

Ein wichtiger Punkt in dieser Konsensbildung ist die Sensibilisierung der Unternehmen für ethische und soziale Gesichtspunkte. Der Zusammenhang zwischen ethischer und sozialer Unbedenklichkeit und Nutzerakzeptanz und damit auch dem finanziellen Erfolg von Innovationen könnte hierbei viel stärker in den Fokus rücken. Ein Negativbeispiel ist hier die Google-Datenbrille, bei der man die nicht-technologischen Implikationen einer neuartigen Technologie nicht ausreichend mitbedacht hat. Dies war in meinen Augen auch ein maßgeblicher Grund, warum sie von den Kunden nicht gut angenommen wurde.

Was kann der Arbeitgeber dafür tun, dass seine Arbeitnehmer von der Digitalisierung profitieren?

Unternehmer können die Digitalisierung zu einer Bereicherung für ihre Angestellten machen. Ganz praktisch kann man Mitarbeiter mit Assistenzsystemen ausstatten, die ihnen die Arbeit erleichtern. Die erforderliche betriebliche Weiterbildung im Rahmen einer Digitalisierungsstrategie muss dabei zur Chefsache gemacht werden.

Darüber hinaus ist es wichtig, dass neben dem Gesetzgeber auch der Arbeitgeber soziale und ethische Probleme bei der Einführung innovativer Technologien miteinbezieht. Deutschland engagiert sich hier bereits sehr stark, das spiegelt sich auch, wenn man einen Blick auf die Forschungsförderung wirft. So werden bei der Entwicklung neuer Technologien Sozial- und Geisteswissenschaftler einbezogen, die sich mit den Fragen der Moral auseinandersetzen.

Ethische Probleme werden so bereits bei der Forschung und Entwicklung mitgedacht und frühzeitig umgangen. Auf diese Weise wird es möglich die Digitalisierung von der Seite des Gesetzgebers aus proaktiv zu lenken und auch bei den Unternehmen Aufmerksamkeit für soziale Themen zu erzeugen. Diese Entwicklung kann sich in Zukunft auch positiv auf den Produktions- und Entwicklungsstandort Deutschland auswirken. Es ist vorstellbar, dass sich das Siegel „Made in Germany“ zum Qualitätsbegriff für ethische, rechtliche und soziale Unbedenklichkeit entwickelt.

Werden Robotik, Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung den globalen Markt revolutionieren?

Ja, aber wie genau diese Revolution aussehen wird, ist bislang noch nicht ganz klar. Disruptives Potenzial besitzen beispielsweise auch plattformökonomische Konzepte.
Man kann festhalten, dass es bei jeder grundlegenden Innovation sogenannte Hypes gab, so wie wir es jetzt auch bei der Digitalisierung erleben. Diese erreichten aber irgendwann einen Zenit, auf den das sogenannte Tal der Ernüchterung folgte. Das heißt, dass man stets einsehen musste, dass nicht alles wovon man träumt oder worüber man liest auch entwickelt werden wird.

Was die Digitalisierung betrifft, so ist deren Zenit wohl noch nicht vollständig erreicht. Auch bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz liegt ein neuerliches Tal der Ernüchterung sicherlich noch vor uns. Obgleich in Zukunft wahrscheinlich fast überall KI-Systeme eingesetzt werden.Meiner Ansicht nach wird man sich an digitale Innovationen gewöhnen und deren Weiterentwicklung gar nicht mehr so stark mitbekommen. Das kann man sich ähnlich vorstellen, wie beim Internet: Wie viel sich wirklich verändert hat, sieht man erst im Rückblick.

Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft. Was meinen Sie, wie werden unsere Arbeitsplätze in 20 Jahren aussehen?

Die Zukunft wird wohl doch langweiliger werden als man denkt. Das meine ich durchaus positiv im Hinblick auf bestehende Sorgen und Ängste. Wenn man aber nach Dingen sucht, die im Alltag anders sein werden, kann man sich vorstellen, dass die Technik näher an den Menschen heranrücken und noch allgegenwärtiger sein wird. So werden wir neben dem Smartphone auch die Smartwatch und die Datenbrille in unserem Alltag verwenden. Die Bedeutung des Monitors wird dadurch vielleicht in den Hintergrund treten. Denn ich kann mir ja auf der Datenbrille alles anzeigen lassen.

Auch in den Produktionshallen wird es zu einer Überlagerung der echten und der digitalen Welt kommen. So können Datenbrillen dem Industrieangestellten per „Hologramm“ aufzeigen, wo er eine Schraube einsetzen muss oder welches Teil er als nächstes benötigt. Das ist dann ein bisschen so wie in Star Wars. Allerdings werden die Hologramme nicht stationär erzeugt, sondern sind nur für den Träger der Datenbrille sichtbar. Im Grunde werden wir eine Vielzahl von technischen Begleitern haben, die uns in einer digitalisierten Arbeitswelt unterstützen. Die Technologie wird kontext- und emotionssensitiv sein und mir beispielsweise E-Mails erst verzögert zustellen, wenn ich gerade konzentriert an einer Sache arbeite.

Aber wenn mir eine Datenbrille die Anleitung liefert, um einen Motor zusammen zu bauen, benötige ich doch den Mechaniker nicht mehr?

Auf jeden Fall ändert sich dann das Tätigkeitsprofil eines Mechanikers. Eine Sekretärin macht heute auch ganz andere Dinge als vor 50 Jahren. Tatsächlich kann es auch sein, dass weniger Mechaniker benötigt werden. Allerdings können gleichzeitig neue Zweige die weggefallenen Jobs ersetzen. Unternehmen, die jene Hologramm-basierten Anleitungen für Datenbrillen herstellen zum Beispiel, schaffen dann neue Jobs. Die Befürchtung vieler Menschen, dass unterm Strich mehr Leute ihren Job verlieren werden, ist nicht neu, sie tauchte bereits bei der ersten industriellen Revolution auf. Trotzdem geht es uns ja auch nicht schlechter als vor den vorherigen industriellen Revolutionen.

Gesellschaftlich können wir diese Herausforderung meistern. Es ist übrigens auch nicht sicher, welche Jobs wegfallen werden. Aber wie das Beispiel von vorhin zeigt, sind eher nicht die Berufe betroffen, an die man zuerst denkt. So erscheint mir der Job einer Putzkraft nicht unsicherer zu sein als zum Beispiel der eines Managers. Denn im Bereich Analytics bewegen sich Maschinen wesentlich sicherer als in einer unaufgeräumten Wohnung.

Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Dr. Palzkill.

About Elisa Utterodt

Egal ob in Österreich, Syrien oder den USA, politische Entscheidungen und Demokratie sind für mich nicht nur in Deutschland von Belang. Vor allem der Einfluss der Digitalisierung auf Kultur und Gesellschaft ist für mich ein spannendes wie aktuelles Thema, über das ich gerne berichte. Wenn ich nicht gerade Zeitung lese oder meine Twittertimeline checke, schaue ich mir zur Entspannung Bundestagsdebatten im Fernsehen an. Seit März dieses Jahres bin ich bei Polyas für die Pflege der Social Media Kanäle zuständig, schreibe Blogartikel und unterstütze das Online-Marketing-Team.