Wiederholungswahl in Berlin: Kann man die Wahlorganisation digitalisieren? 

Mit dem Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen, Peter Weiß, sprachen wir im ersten Teil unseres Interviews über die Herausforderungen für die Umsetzung von Online-Wahlen in Deutschland. Im zweiten Teil geht es darum, wie das Modellprojekt der Online-Sozialwahl für 2023 entstand, von welcher Akzeptanz in der Bevölkerung Peter Weiß ausgeht und welche Hürden noch genommen werden müssen, um die Sozialversicherungswahlen zu modernisieren.

Herr Weiß, 2023 wird erstmals online bei der Sozialwahl gewählt. Wie kam es dazu?

Bei der Sozialwahl 2023 ist auch die Online-Stimmabgabe möglich.

Bei der Sozialwahl 2023 wird auch die Online-Stimmabgabe möglich sein.

In Deutschland wollen wir das Online-Wählen als Alternative zur Briefwahl ausprobieren und starten deshalb einen Modellversuch bei der Sozialwahl 2023 bei den 14 Krankenkassen. Wir haben die Sozialwahl ausgesucht, weil wir bei einem derartigen Test von Online-Wahlen das Angriffsrisiko als gering einschätzen.

Ermöglicht wird das neue Wahlverfahren durch das 7. SGB-IV-Änderungsgesetz. Darin legt der Gesetzgeber fest, dass Krankenkassen, die am Modellprojekt teilnehmen, 2023 auch elektronisch über das Internet wählen lassen können. Krankenkassen, die sich an der Online-Wahl beteiligen wollten, mussten dafür bis zum 30.9.2020 ihre Satzung entsprechend ändern. Und natürlich müssen die Details mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) abgesprochen werden.

Das 7. SGB-IV-Änderungsgesetz sah zudem unter anderem auch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Sozialversicherungsträger (ARGE) vor, die die europaweite Ausschreibung für den Dienstleister durchführte. Wenn es nur darum ginge, bei den Krankenkassen online zu wählen, könnte man sicher mit einfachen Anforderungen durchkommen.

Doch unser Ehrgeiz ist es, den Modellversuch Online-Wahlen bei der Sozialwahl 2023 bei den jetzigen Krankenkassen so zu gestalten, dass wir den Wahlgrundsätzen, die in Deutschland für eine Wahl gelten – inklusive der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – gerecht werden.

Haben Sie schon Indizien für die Erwartungshaltung der Wählerinnen und Wähler an die Bundessozialwahl?

Es sind im Vorfeld Umfragen gemacht worden, die zeigen, dass das zu realisierende Potential bei 15

Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)

Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)

Prozent der Wählerinnen und Wähler liegt. Wenn diese die Online-Wahl nutzen, wäre das schon ein großer Erfolg für die Modernisierung der Sozialversicherungswahlen. Für eine Prüfung bei dieser Anzahl von Wählerinnen und Wählern hätte sich der Versuch gelohnt.

Die Jüngeren sind natürlich eher bereit das Online-Wählen zu nutzen als die Älteren. Nun haben wir bei der Sozialwahl sowieso die Situation, dass die Wahlbeteiligung bei den älteren Wählerinnen und Wählern deutlich höher ist. Vielleicht kann man den ein oder anderen davon überzeugen, das Online-Wählen auszuprobieren. Online-Wahlen sind auch ein Instrument, um die Wahlbeteiligung bei den jungen Wählerinnen und Wähler zu erhöhen.

Das ganze Thema muss eingebettet werden in die Digitalisierungsstrategie im Bereich der öffentlichen Verwaltung: Was können Sie heute bei einer Gemeinde bereits digital machen? Sie können sich anmelden, Ihre Wohnung ummelden, den Führerschein beantragen. Je nach Gemeinde ist das aber sehr unterschiedlich. Auch beim Thema Authentifizierung stehen wir noch sehr am Anfang.

Sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden in der Vorbereitung der Sozialwahl 2023, was den Online-Teil angeht, schon genommen? Oder steht das noch bevor?

Es gibt in Kürze einen Termin für einen sogenannten Penetrationstest, kurz Pentest. Der externe Dienstleister für die ARGE lässt im Laufe der Entwicklung des Verfahrens das Online-Wahlsystem durch die Kassen und Pentester zu bestimmten Zeitpunkten auf Fehler, Unsicherheiten und Lücken prüfen.  Das dient zur Fehlerbehebung aufgrund der Ergebnisse aus den oben genannten Tests.

Wenn der Test einigermaßen reibungslos abläuft, dann gibt es das endgültige Okay für die Online-Sozialversicherungswahl. Ich gehe mal davon aus, dass fünf Krankenkassen die Online-Stimmabgabe tatsächlich anbieten. Es wird ein eingeschränkter Versuch bei den Sozialversicherungswahlen sein, aber mit Kassen, die wirklich ein großes Wählerpotential haben. Zudem haben die Kassen ein massives Interesse daran, das Auszählungsverfahren praktikabler zu machen, welches aktuell in großen Hallen mit Bergen an Stimmzetteln stattfindet.

Die Online-Sozialwahlen 2023 sind der Versuch, das, was in der klassischen Wahl geschieht, auch digital nachzuzeichnen. Und wenn der Versuch gelingt, dann wird der Modellversuch Online-Wahl bei der Sozialwahl die Grundlage für die politische Debatte in Deutschland sein, um auch bei anderen Wahlen das Online-Wählen auszuprobieren. Und ehrlicherweise können wir die Frage erst beantworten, wenn das Experiment hinter uns liegt.

Sozialwahlen – was ist das?

Bei der Sozialwahl oder Sozialversicherungswahl wählen die Versicherten und Arbeitgeber:innen die Selbstverwaltungsorgane der gesetzlichen Sozialversicherungsträger in Deutschland.

Alle sechs Jahre erfolgt die Wahl der Verwaltungsräte bei allen Trägern der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Unfallversicherung im Rahmen der Sozialwahlen. Mit 51 Millionen Wahlberechtigten ist die Sozialversicherungswahl die drittgrößte Wahl Deutschlands, nach der Europawahl und den Wahlen zum Deutschen Bundestag. Der Termin für die nächste Sozialwahl ist der 31. Mai 2023.
  
Worum geht es in der Sozialwahl 2023?
Mit der Realisierung der Online-Sozialwahl in 2023 erhalten allein bei den Ersatzkassen circa 22 Millionen Wahlberechtigte die Möglichkeit, ihre Stimme erstmals auch online abzugeben. Die Ersatzkassen TK, BARMER, DAK-Gesundheit, KKH, hkk, HEK sowie BKK RWE zählen zu den größten Kassenarten in Deutschland, die bei diesem Modellprojekt mitmachen. Sie bieten als erste Krankenkassen Online-Wahlen neben der Briefwahl an.
 
Die DAK-Gesundheit wählte 2018 ihre Gleichstellungsbeauftragte online mit POLYAS. Zum Erfahrungsbericht >
 
Würde das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gesteckte Ziel mit 15 Prozent Online-Wählenden erreicht, ergäbe das 3,3 Millionen Online-Wähler:innen bei den Ersatzkassen im Rahmen der Sozialwahl in Deutschland bzw. 7,7 Millionen Wähler:innen bei 51 Mio. Wahlberechtigten insgesamt. Besonders die Ersatzkassen und ihre Verwaltungsräte erhoffen sich von der Modernisierung der Sozialversicherungswahlen eine noch größere Wahlbeteiligung an den Sozialwahlen.