Sozialversicherungswahl 2023

Die mit 51 Millionen Wahlberechtigten drittgrößte Wahl Deutschlands, die Sozialversicherungswahl, soll 2023 erstmals auch als Online-Wahl in Deutschland stattfinden. Die Vorbereitung und Durchführung der Wahl verantwortet Peter Weiß, der seit Oktober 2021 das Amt des Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen innehat. POLYAS sprach mit ihm darüber, was eine öffentliche Durchführung einer Wahl bedeutet, welche Anforderungen es bei der Digitalisierung der Sozialwahl gibt und wie fälschungssicher Online- und Briefwahl im Vergleich sind. Teil 1 des Interviews.

Herr Weiß, welche Herausforderungen und Anforderungen sehen Sie als Bundeswahlbeauftragter bei der digitalen Sozialversicherungswahl im Vergleich zur klassischen Wahl?

Was ich an Herausforderungen bei der digitalen Sozialversicherungswahl sehe, ist erstens die Authentifizierung und zweitens die Umsetzung des Wahlrechtsgrundsatz der Öffentlichkeit der Wahl. Für jemanden, der klassisch wählen geht, ist es nachvollziehbar: Sonntags nach dem Gottesdienst geht man hocherfreut ins Wahllokal. Dort sitzen Menschen, die sich den Personalausweis ansehen, prüfen, ob ich im Wählerverzeichnis stehe. Man sieht, dass ich in der Wahlkabine erscheine, ohne das weitere Personen zusehen oder mit dabei sind, und allein wieder heraustrete mit einem fertig gefalteten Wahlzettel.

Ich begebe mich zum nächsten Tisch. Da sitzen auch wieder konkrete Menschen, die mir bestätigen: „Ich bin wahlberechtigt“. Wenn ich Lust und Laune habe, kann ich nach 18:00 Uhr dabei zu sehen, wie die Wahlhelfenden die Stimmzettel aus der Urne nehmen und auszählen.

Und wie könnte dieser Prozess bei der Online-Sozialversicherungswahl aussehen?

Digital ist der Gang zur Wahlurne nicht so einfach abzubilden. Kann ich mir sicher sein, dass meine Wahlentscheidung in der digitalen Wahlurne angekommen ist? Da wird man wahrscheinlich ein System brauchen, das mir wenigstens für einen kurzen Augenblick anzeigt: „Deine Stimme ist angekommen“.

Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)

Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)

Dann muss diese Anzeige aber wieder verschwinden, denn wir haben ja eine geheime Wahl. Und es darf nirgends dokumentiert sein, was ich gewählt habe. Das Auszählen der digitalen Stimmzettel übernimmt der Computer. Die per Hand ausgezählten Stimmen kommen dazu und wir rechnen die Ergebnisse zusammen.

Die Frage ist, ob man für diesen Akt auch so etwas wie Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter installieren könnte, die sich diesen Vorgang ansehen, um der Zusammenführung der Wahlergebnisse eine gewisse Öffentlichkeit zu geben. Alles andere sind Themen, von denen wir ohnehin annehmen, dass sie manipulationssicher sind: Zum Beispiel, dass die digitale Wahlurne solide speichert und nicht manipuliert werden kann, dass der eine Speicher funktioniert, wenn der andere ausfällt und so weiter.

Ich behaupte, die klassische Briefwahl – bei der in den privaten Räumlichkeiten nicht kontrolliert werden kann, wer die Briefwahlunterlagen tatsächlich ausgefüllt hat – ist manipulationsanfälliger als die Online-Wahl.

Wie könnte eine sichere Authentifizierung bei einer Online-Wahl aussehen?

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sagt klar und deutlich: Mit dem digitalen Personalausweis kann man sich sicher authentifizieren und an der Wahl teilnehmen. Laut einer Umfrage von YouGov aus Februar 2022 haben aber gerade einmal acht Prozent der Deutschen einen freigeschalteten digitalen Personalausweis. Damit erreicht man natürlich den Großteil der Wählerinnen und Wähler nicht.

Ich glaube, dass es politisch dringend notwendig ist, dass das Bundesministerium des Inneren und für Heimat und die Länderbehörden die Bürgerinnen und Bürger darüber aufklären, welche Vorteile es bringt, einen digitalisierten Personalausweis zu haben. Dass die Leute den Ausweis nicht freischalten, liegt einfach daran, dass sie den Nutzen nicht kennen. Und in der Tat ist der Nutzen derzeit auch eingeschränkt.

Ich mache mal ein positives Beispiel: Die Bundesagentur für Arbeit wird ihre gesamten Angebote digitalisieren. Bürgerinnen und Bürger werden sich künftig digital arbeitslos melden können und online Arbeitslosengeld I oder II beantragen können. Wenn man bei der Online-Sozialversicherungswahl nicht von vornherein die große Masse der Wählerinnen und Wähler vom digitalen Wählen ausschließen will, muss man eine zweite Zugangsmöglichkeit schaffen.

Welche Alternative gibt es für die Authentifizierung über den Personalausweis?

Sozialversicherungswahl

Für die Online-Sozialwahl soll man sich mit der Krankenkassenkarte anmelden können.

Das wird die Krankenkassenkarte sein. Und Sie wählen sich dann mit Ihrer Krankenversicherungsnummer für die Stimmabgabe ein. Anschließend folgen allerdings noch zwei weitere Authentifizierungsschritte. Daher habe ich die Sorge, dass viele Menschen das Ausfüllen von Papier als viel einfacher als das digitale Wählen empfinden werden. Das BSI sagt uns aber, dass wir diese drei Schritte machen müssen.

Sie beschäftigen sich jetzt sehr intensiv mit der Online-Wahl und das BSI widmet sich dem ebenso. Würden Sie sagen, dass die Anforderungen an die Online-Wahl höher sind als an die klassische Wahl?

Also höher als an die klassische Briefwahl sind die Anforderungen an die Online-Wahl, ja. Gerade was das Manipulationsthema und was den Gesichtspunkt der Öffentlichkeit der Wahl anbelangt. Die Briefwahlunterlagen landen in einer Briefwahlurne, die öffentlich ausgezählt wird. Auch die Auszählung der Sozialversicherungswahlen war bisher eine öffentliche Auszählung. Sie konnten, wenn Sie wollten, zum Beispiel bei der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin in einer riesigen Halle antreten, in der alle Wahlzettel ausgezählt werden, und dort zusehen, was die Wahlhelfer dort machen.

Wissen Sie zufällig, ob das Beobachten bei den öffentlichen Auszählungen der Wahlzettel genutzt wird?

Nein. Es wird wahrscheinlich kaum genutzt. Doch die Tatsache, dass Sie zusehen könnten, ist viel Wert. Wenn Sie die digitale Wahlentscheidung parallel zur Briefwahl ermöglichen, muss die doppelte Stimmabgabe zudem ausgeschlossen werden können. Das heißt, zum ersten Mal werden die Briefwahlunterlagen einen Code enthalten und die eingehenden Briefwahlumschläge laufen ungeöffnet vor der Auszählung über einen Scanner, der all die Briefwahlunterlagen von Leuten aussortiert, die schon online abgestimmt haben.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch Menschen gibt, die denken: ‚Jetzt habe ich online abgestimmt. Doch bevor es nicht klappt, schicke ich es zur Sicherheit noch schriftlich hinterher.‘ Also haben wir diesen zusätzlichen Arbeitsschritt des Aussortierens von Stimmzetteln. Das Scanner-System muss natürlich fehlerfrei funktionieren und die richtigen Briefe aussortieren. Wenn es mit all den Sicherheitsmaßnahmen, die wir ergriffen haben, funktioniert, dann ist die Online-Wahl zumindest fälschungssicherer als die Briefwahl, sofern man auch gegen Hackerangriffe gewappnet ist.

In Kürze erscheint der zweite Teil des Interviews mit Peter Weiß. Dort lesen Sie mehr zu folgenden Themen:

  • Das Modellprojekt Online-Sozialversicherungswahl 2023 – wie es dazu kam
  • Erwartete Akzeptanz der Online-Sozialwahl
  • Hürden in der Vorbereitung der Sozialwahl